Zum Hauptinhalt springen

Beitrag

Zukunftsliteratur - Die Rezensionsecke

Klaus- Peter Buss, Martin Kuhlmann, Marliese Weißmann, Harald Wolf, Birgit Apitzsche (Hg.): „Digitalisierung und Arbeit – Triebkräfte – Arbeitsfolgen – Regulierung“, erschienen im Campus Verlag, Frankfurt/M 2021 als Band 28 der Internationalen Arbeitsstudien des SOFI – Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen.

In einer Welt, in der Digitalisierung als Megatrend allgegenwärtig ist und das damit verbundene Narrativ unzählige Zukunftserwartungen schafft, freut man sich schon fast diebisch, stolpert man über ein Buch, das man in der Tradition der Ludditen (Maschinenstürmer) des 19. Jahrhundert lesen kann. „Digitalisierung und Arbeit – Triebkräfte – Arbeitsfolgen – Regulierung" nimmt diesen kritischen Blick ein, relativiert gegebene Versprechen und enttäuscht im besten Sinne des Wortes. Schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass den Herausgeber*innen Klaus-Peter Buss, Martin Kuhlmann, Marliese Weißmann, Harald Wolf und Birgit Apitzsch ein Buch gelungen ist, das einen wichtigen Beitrag zur Diskussion im digitalen Wandel leistet. In 11 Beiträgen nehmen die Autor*innen den digitalen Wandel der Arbeit an sich, Nutzungsformen und Arbeitswirkungen, den Blick auf strategische Digitalisierungsinteressen, exemplarisch den Finanzdienstleistungssektor, den Handel und die industrielle Produktion in den Blick und zeichnen eine Konfliktlandkarte betrieblicher Arbeitsbeziehungen im digitalen Wandel. Bereits im Einstieg zum „Phantom der Digitalisierung“ arbeitet Harald Wolf heraus, wie wichtig es ist, „angesichts der digitalen Mobilmachung, der andauernden politischen Digitalisierungsoffensiven“ (S.40) mit kritischem Blick auf das, was wirklich ist, zu schauen. Ist der digitale Wandel wirklich die vielgepriesene Revolution, der Paradigmenwechsel oder nicht doch nur ein weiterer Schritt, der in den Prozess der Informationalisierung einzuordnen ist. „Der gesellschaftliche Digitalisierungsdiskurs kreist nicht nur um die erwarteten wachsen technischen Potenziale; man könnte auch sagen, er redet sie herbei: mit der Ausrufung einer „vierten industriellen Revolution“ und hierzulande insbesondere durch die Initiativen und Diskussion um Industrie 4.0 oder auch Arbeit 4.0. So entsteht ein weites technologisches Erwartungsfeld mit einer weiten, aber wirkmächtigen Agenda, in dem politische, ökonomische und wissenschaftliche Akteure sich – als Technikentwickler*innen und -gestalter*innen – positionieren und profilieren.“

Die Autor*innen negieren aber nicht das grundsätzliche Potenzial, das der digitale Wandel mit sich bringt. Ins rechte Licht gerückt würde dann „von Digitalisierungen im Plural gedacht werden". Die unterschiedlichen Triebkräfte kämen ausdifferenzierter zum Tragen. Digitalisierungen wären eben nur ein Faktor unter vielen im Wandel.

Ein einleuchtendes praxisorientiertes Beispiel bieten Klaus-Peter Busch und Eva-Maria Walker in ihrem Beitrag „Strategische Interessen und Digitalisierung“. Wie in vielen anderen Branchen, gibt es für den Handel die „gängige Argumentationslinie einer Unausweichlichkeit der Digitalisierung“. Die Autor*innen nehmen diese in den kritischen Blick, verweisen auf fehlende Belege und valide Gründe. Am Beispiel von Online-Handel und Selbstbedienungskassen machen Busch und Walker deutlich, dass das, was im Modell des digitalen Wandels gedacht wird, wenig mit der Realität des Handels zu tun. Mit Bezug auf den Online-Handel beschreiben sie die den Kund*innen zugeschriebene Digitalisierungserwartung an den Handel. Dabei würde außer Acht gelassen, dass die Grenzen des Wachstums des Online-Handels erreicht seien (S. 114) und dass z.B. die Anstrengungen, die Einzelhändler (KMU) unternehmen müssten, um neben den „Großen“ überhaupt sichtbar zu sein, in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünden und dass der Einzelhandel eben hier eher mit dem persönlichen vor Ort-Kontakt, der Begegnung zwischen Kund*in und Verkäufer*in punkten würde. So „passt die Technologie (…) nicht zum Geschäftsmodell des Fachhandels, für welche das Verkaufsgespräch beziehungsweise die Beratung des des*der einzelnen Kund*in essenziell ist.“ (S. 121).

Der kritische Blick der 18 Autor*innen, die zum Großteil am SOFI - Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen, einem An-Institut der Georg-August-Universität Göttingen, verortet sind, tut gut, auch wenn an manchen Stellen die Frage nach dem „Was tun?“ offenbleibt. Eine dringende Leseempfehlung für alle Digitalisierungsbegeisterten, die einen Blick hinter die Fassade eines Megatrends werfen mögen.

Michael E.W. Ney
Projektleiter
 

Dieses Projekt wird umgesetzt durch das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung.

Das Projekt „Zukunftszentrum Digitale Arbeit Sachsen-Anhalt“ wird im Rahmen des Programms „Zukunftszentren“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt kofinanziert.

Impressum